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Jul

23

2015

Die Kunst der 4 Räume


von David Arico



Meiner Meinung nach gibt es eine Sache in der Kampfkunst, die entscheidender und wichtiger ist als alles andere. Sie steht gleichbedeutend mit der Technik, dem Konzept und der Systematik. Diese Sache ist stilunabhängig, personenunabhängig und dreht sich um den grundlegendsten Kern der Kampfkunst überhaupt. Es handelt sich hierbei nicht um irgendeine philosophische Metapher oder ein Gedankenkonstrukt, sondern um ein definitiv greifbares, wenn auch nicht leicht zu erklärendes Element. Ich überlege schon seit geraumer Zeit, wie ich es am besten und treffsichersten beschreiben kann, aber mir fiel bis jetzt noch keine passende Bezeichnung oder Erläuterung ein. Also habe ich beschlossen diesem Thema einen Beitrag zu widmen. Viele von euch werden mich im Training schon öfter darüber sprechen gehört haben, konnten mir aber in Ermangelung einer klaren Ausformulierung vielleicht nicht ganz folgen. Inhalt dieses Artikels soll es sein, dass was mir schon lange bewusst und klar ist, in greifbares und nachvollziehbares Wissen zu transferieren. Euer Feedback wird dann zeigen, ob dieses Unterfangen erfolgreich war. :)

Als erstes möchte ich über Räume sprechen. Ein Raum ist hierbei eine Ansammlung von Aspekten und hat nichts mit einem Zimmer zu tun, es geht eher um einen Betrachtungsraum. Wenn wir zum Beispiel den Raum beschreiben wollen der uns gerade in diesem Augenblick umgibt, tun wir das unter zu Hilfenahme von ganz spezifischen Charakteristika indem wir ihm Aspekte aus unserer Erfahrung zuweisen. Diese sind von Person zu Person verschieden. Ein Raum kann groß, dunkel, weit, grün, aber auch unendlich für uns sein. Er kann sich auf das Zimmer beschränken in dem ich mich gerade befinde, oder aber auch die gesamte Stadt beinhalten. Er kann drückend oder fröhlich, einfach oder kompliziert sein, andere Menschen oder Tiere beinhalten oder auch als Leere wahrgenommen werden. Ein Raum in diesem Sinne hat nicht nur mit meiner äußeren Wahrnehmung zu tun, auch innere Prozesse, Gefühle, Gedanken und Träume können ein Teil davon sein. Ein Raum in diesem Sinne ist also ein individuelles Lenken meiner ganz persönlichen Wahrnehmung. Er geht bis dorthin und beinhaltet all das, was meine Aufmerksamkeit miteinschließt. Er kann alles sein, was ich erfassen kann und in diesem Moment auch erfassen möchte. Er kann durch Entfernung charakterisiert sein, aber auch durch die Zeit. Somit ist jeder Raum unendlich wahrnehmbar und erfahrbar. Genauso lässt sich ein Raum aber auch abschließend definieren, wenn wir das wollen. Wir könnten zum Beispiel sagen:" Der Raum in dem ich mich befinde, geht von dieser Wand bis zu der dort drüben und beinhaltet alle Möbel aber auch meine Stimmung." Oder:" Den Raum den ich brauche um mich wohl zu fühlen, beinhaltet viel Licht, Musik und eine angenehme Stimmung." Die Aspekte die ich einem Raum zuschreibe machen aus ihm das was er ist. Ob diese räumlich, zeitlich, emphatisch, kognitiv oder sonst wie gestaltet sind, spielt hierfür keine Rolle. Es gibt "Einen Raum zum Träumen", man kann jemandem "Raum zum entfalten geben" oder ihm eben "Nicht genug Raum lassen!" Somit verstehen wir unter Raum eine wahrnehmbare Ansammlung von Aspekten.

Wenn wir nun zum Beispiel den Raum im Bezug auf die Systematik der Kampfkunst betrachten, beinhaltet dieser die unterschiedlichen Distanzen in denen wir kämpfen können, sowie unser konzeptionelles Verhalten darin. Jede dieser Distanzen erlaubt uns den Einsatz bestimmter Techniken und Anwendungen. Es handelt sich also um einen systematischen Raum, der dadurch definiert wird, was wir in welcher Distanz tun können und was nicht, und wie wir uns systematisch und konzeptionell bewegen können. Wir können uns also sehr leicht innerhalb des systematischen Raumes aufhalten, da dieser überprüfbar definiert wurde. Wir lernen die Parameter, wann wir uns innerhalb dieses Raumes bewegen und wann eben nicht. Ist unser Verhalten systematisch und konzeptionell und in weiterer Folge strategisch korrekt, befinden wir uns darin. Weißt das Verhalten noch Lücken auf, kann ich diese anhand des systematischen Raumes überprüfen und adaptieren.

Genauso gibt es aber auch einen ganz persönlichen Raum innerhalb dieses systematischen Raumes. Er betrifft unser persönliches Empfinden, wann wir uns in Balance und Fokus befinden und wann nicht. Dieser Raum, ich werde ihn ab jetzt als "inneren Raum" bezeichnen, sagt uns ob wir im Fluss mit unserer Motorik sind, ob wir stabil stehen, und ob sich unsere Gliedmaßen zueinander und zum Rest des Körpers schlüssig und im Bezug auf unser Gleichgewicht adäquat bewegen. Er sagt uns wann unsere Arme nachgeben können und wann sich unser Körper bewegen muss. Er ist im Vergleich zum systematischen Raum also sehr individuell. Es geht darum die Balance und den Fokus zu jedem Zeitpunkt aufrecht zu erhalten und den Körper als Einheit fungieren zu lassen. Dieser Raum wird also durch gänzlich andere Aspekte definiert als der systematische, und obgleich diese nicht so eindeutig scheinen, sind sie es doch. Sie liegen nur auf einer gänzlich anderen Ebene. Es handelt sich dabei um ein Gefühl für meinen inneren Rhythmus, ein Gefühl das meine innere Dynamik aufrecht erhält und Bewegung entstehen lässt, so wie sie gerade benötigt wird. So können wir uns also sehr wohl im systematischen Raum befinden, ohne aber auch im inneren Raum zu sein. Ist das aber der Fall, fehlt die wichtigste Sache überhaupt, nämlich das Gefühl zu unserem eigenen Körper.

Der nächste entscheidende Raum, der in unserer Gleichung aber auf keinen Fall fehlen darf, ist der antagonistische Raum, also der unseres Gegners. Denn die Energie unseres Gegenübers bewegt unseren eigenen inneren Raum. Bis jetzt waren Balance, Fokus und Motorik ja noch unabhängig von äußeren Einflüssen. Hierbei ist es entscheidend zu verstehen, dass wir nicht gegen jemanden anderen arbeiten, es handelt sich nur um einen weiteren Raum den wir beachten können und der in weiterer Folge Einfluss auf unseren inneren Raum hat. Arme, Rumpf, Hüfte und Beine stehen zueinander in untrennbarer Verbindung und jeder Impuls den wir erhalten, pflanzt sich durch den gesamten Körper wie eine Welle fort. Das Aufrechterhalten dieser inneren Impulskette ist es, was den Unterschied ausmacht. Es geht nicht darum zu klären ob harte oder weiche Stile besser sind oder ob besser der Arm, der Körper oder vielleicht gleich die Beine nachgeben sollten. Das ist Stilistik die das eigentlich Wichtige verschleiert. Solange sich mein Körper in Balance befindet, ich den Fokus aufrechte erhalten kann, mich motorisch flüssig und ökonomisch dabei bewege und nicht getroffen werde, ist es doch völlig egal, was zuerst nachgibt, oder? Außerdem bekommt "mein Gegner" dadurch eine gänzlich neue Bedeutung, denn ohne seinen Raum währe diese Art der Bewegung erst garnicht möglich. Er und sein Raum sind Impulsgeber, Initiatoren und werden so ein Teil meines inneren Raumes wenn es darum geht meine innere Körperintegrität aufrecht zu erhalten. So verbindet sich mein innerer Raum mit dem antagonistischen Raum meines Gegenübers und formt auf diesem Weg eine schwingende Einheit. Integriere ich diesen Raum nicht, wird er dennoch stets vorhanden sein und mich blockieren. Zwei Energien werden aufeinander prallen und um die Vorherrschaft ringen.

Der letzte Raum ist der äußere Raum, also das was mich in diesem Moment tatsächlich umgibt, von Straßen, über Bäume, andere Menschen, Autos, einfach alles. Ohne die Integration dieses letzten Raumes, bin ich meinem Umfeld und der Umgebung ausgeliefert. Ich nehme nicht wahr was um mich herum geschieht und kann es dadurch auch nicht nutzen. Der äußere Raum beinhaltet auch alles strategische, über Emotionen, Gestiken bis hin zu taktischen Manövern. Sprich alles was ich als Vorteil im Außen nutzen kann.

Diese vier Räume; der innere, der antagonistische, der äußere und der systematische müssen sich vereinigen zu einem großen eigenständigen Raum, der all ihre Aspekte beinhaltet und dadurch ein größeres Ganzes entstehen lässt. Also mit anderen Worten: Ich versuche in mir selbst, durch externe Impulse in einem systematisch konzeptionellen Fluß zu bleiben, dort wo ich gerade bin. Ich versuche also ständig diese vier Räume für mich aufrecht zu erhalten!

Der systematische Raum ist wie eine Betriebsanleitung, anhand derer ich erkennen kann, ob ich mich auf dem richtigen Weg befinde. Das Gefühl das notwendig ist, um das ganze auch umzusetzen, ist der innere Raum, den ich erst über die Zeit hinweg erschaffen muss. Da die Parameter hierfür allerdings nicht festgelegt sind, ist er auch um einiges schwieriger zu formen und daher auch nur sehr schwer über Worte zu erklären.

Man kann sagen, der systematische Raum steht für Klarheit, der innere Raum für Einheit, der äußere Raum für Wahrnehmung und der antagonistische Raum für Transformation.

Klarheit - Einheit - Wahrnehmung - Transformation.

Diese vier Aspekte ergeben zusammen mehr als ihre Teile und Formen auf diesem Weg ein größeres Ganzes. Eine Kampfkunst die weit über einen rein körperlich-logischen Ansatz hinaus geht. Vier Aspekte von denen keiner wichtiger oder besser ist als der andere, denn nur ihre Vereinigung führt zu wahrer Meisterschaft. Einer Meisterschaft in uns und mit dem was um uns ist.

Die Klarheit um das systematische Konzept dahinter zu erkennen und gegebenenfalls zu adaptieren, die Einheit dieses Konzept in einen nneren Fluss umzusetzen, die Wahrnehmung des Äußeren um seine Handlungen und Strategien angemessen anzupassen und die Verbindung mit der antagonistischen Energie um diese in sein eigenes Feld zu transformieren.